Wie leben jugendliche Flüchtlinge ohne Eltern in Deutschland?

Sie sind wohl die am schwersten betroffenen Flüchtlinge. Kinder, die ohne Eltern und Familie tausende von Kilometern unterwegs sind, um Frieden und Sicherheit zu haben. 2015 waren es über 14.000, die in Deutschland ankamen. Dieses Jahr dürften es viel mehr sein. Wie leben sie in Deutschland? Ich traf einen Jungen aus Afghanistan in Leipzig.

Ali Reza ist 17. Im Behördendeutsch wird er als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ bezeichnet. Tatsächlich ist er ein Kind ohne Eltern weit von seiner Heimat entfernt. Sein Vater ist verschwand, als er drei war – vermutlich von den Taliban verschleppt oder getötet. Seine Mutter verstarb an einer Krankheit, als er bereits auf der Flucht aus seiner Heimat Afghanistan war, erzählt er, als wir uns in Leipzig treffen.

Ich werde nie im Leben den Tag vergessen, an dem ich von ihrem Tod erfuhr. Niemals.

Ein Kind ist er wirklich nicht mehr. Dafür hat er viel zu viel erlebt. Zwei Monate Iran, vier Monate Türkei – in beiden Ländern arbeitete er, um an Geld zu kommen. Griechenland, Serbien, Österreich und dann Deutschland. Seit einem halben Jahr lebt er mit anderen jungen Flüchtlingen zusammen. Juliette Ruck leitete beim BBW – einer Einrichtung der evangelischen Diakonie – diese Jugendwohngruppen.

Wir leben hier wie in kleinen Familien zusammen. Wir haben drei Wohngruppen mit 12 Jugendlichen jeweils. 36 Jugendliche. 20 Mitarbeiter mittlerweile. Und ja, wir sind alles: Mamas, Papas, Onkel, Tante, Schwestern, Brüder.

Die Sozialarbeiter sind rund um die Uhr da. Sie bringen den Jugendlichen beispielsweise die Haushaltsführung bei.

Die sollen dann lernen, mit Geldern zu haushalten, müssen uns Kassenzettel bringen, ein Haushaltsbuch führen. Also so, wie das deutsche Jugendliche, die in der Jugendhilfe untergebracht sind, auch machen.

Es gibt also keine Bevorzugung der Flüchtlinge, betont Juliette Ruck. Ausländische und deutsche Jugendliche werden gleich behandelt. Und so gilt natürlich auch die Schulpflicht. Ali Reza pendelt jeden Tag über eine Stunde in die Leipziger Innenstadt, denn dort gibt es den Unterricht auf Deutsch – allerdings in Klassen speziell für Ausländer, die die Sprache noch lernen.

Ich gebe mir gerade große Mühe Deutsch zu lernen. Danach möchte ich irgendetwas Richtung Sport machen. Und wenn das nicht klappt, werde ich Bürokaufmann.

Den Sport hat er bereits für sich entdeckt. Dreimal in der Woche wird am Sportforum trainiert: Boxen. Kontakte zu Deutschen hat er noch nicht. Warum, will ich wissen.

Er wolle nicht die falschen Leute kennenlernen, meint Ali Reza. Und noch könne er nicht genug Deutsch, um das festzustellen.

Es ist auch diese Vorsicht, die ihn so erwachsen macht. Trotzdem bleibt er auch der Jugendliche:

Ich spiele Billard. Dort. Dart. Und dancing

Billiard, Dart und Tanzen. All das ist in der Freizeit bei Ali Reza angesagt.