Naumburg hat eine Straßenbahn. Sie ist die älteste Ringstraßenbahn, inzwischen wahrscheinlich sogar die einzige in Deutschland, und sie ist einer der kleinsten Straßenbahnbetriebe überhaupt. Vor 130 Jahren rollte die erste Bahn – damals noch mit Dampf – durch die Stadt. In wenigen Wochen entscheidet Naumburg darüber, wie und ob die Straßenbahnstrecke erweitert wird. Darüber berichte ich im Nachrichtenradio MDR Aktuell mit einer langen Reportage.
Im Grünbereich zwischen Straße, Stadtgraben und historischer Stadtmauer sieht man Naumburgs Straßenbahn schon von weitem. Und man hört die „Wilde Zicke“ oder auch einfach nur „Ille“ – zwei ihrer Spitznamen – auf dem Weg zur Haltestelle Vogelwiese mit ihren markanten Elektromotoren, den Feststellbremsen und dann beim Abfahren das Klingeln.
Deutschlands älteste Ringstraßenbahn – hier ist noch vieles Handarbeit. Und doch zog erst kürzlich digitale Technik in die Fahrzeuge der Bahn ein, die alle ausnahmslos zu DDR-Zeiten gebaut wurden. Doch dazu später mehr.
Vier Menschen, die eng mit der Naumburger Straßenbahn verbunden sind, werde ich heute kennenlernen: eine Fahrerin, den Straßenbahnchef, den Oberbürgermeister und den Werkstattchef. Und sie alle zeigen, wie es funktioniert, dass so eine kleine private Straßenbahn mit nur 12 Mitarbeitern überhaupt überleben kann. Doch zunächst fahre ich zur Endhaltestelle Salztor – unterwegs im Wagen 51. Gebaut 1973 in Berlin-Henningsdorf, dann viele Jahre in Jena im Einsatz und seit 2001 in Naumburg.
Carola Mehner begleitet mich. Sie ist Assistentin der Geschäftsführung und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit bei der Naumburger Straßenbahn. Die Fahrgäste haben immer Vorrang – auch vor dem Radio.
Wollen Sie aussteigen? Oder wollen Sie wieder mitfahren? – Ich fahre mit. – Ist klar.
Carola Mehner, Naumburger Straßenbahn mit Gespräch mit einer Kundin
Carola Mehner kennt viele der Fahrgäste persönlich, denn sie fährt oft selbst die Straßenbahn zwischen Hauptbahnhof und Salztor hin und her. 500 Fahrgäste täglich waren es vor Corona.
Auch wenn man mit Uniform durch die Stadt geht: Jeder guckt. Jeder grüßt. Auch wenn oft die Kindergartengruppen vormittags spazieren gehen, dann gehen sie oft an der Strecke lang, fahren auch manchmal mit, wenn schlechtes Wetter ist. Und wenn die Kinder die Straßenbahn sehen, dann winken die schon von weitem und freuen sich natürlich, wenn wir zurückwinken. Die Straßenbahn gehört einfach zu Naumburg und wird auch von den Einheimischen viel genutzt. Wir sind sehr froh, dass grad jetzt in der Corona-Zeit ungefähr so 80 Prozent ausmachen, die täglich mit uns mitfahren. Also ein Beweis dafür: Wir werden gebraucht.
Carola Mehner, Naumburger Straßenbahn, Öffentlichkeitsarbeit
Nach der faktischen Einstellung 1991 wird die Straßenbahn seit 1994 nach und nach wieder verlängert. Allerdings ist der fünfeinhalb Kilometer lange Ring seitdem nicht mehr vollständig in Betrieb. Derzeit fahren die Straßenbahnen auf einem knapp drei Kilometer langem Teilstück, sind da aber mit 11 Minuten Fahrzeit sogar schneller als ein Bus.
Wir stehen weiterhin an der Endstation Salztor. Die ist noch nicht ganz so alt, erzählt Carola Mehner.
Zum 01.12.2017 wurde der letzte Abschnitt – etwa vierhundert Meter – Vogelwiese, bis dahin war die Endhaltestelle dort, bis Salztor verlängert und hat uns zusätzlich 20 Prozent mehr Fahrgäste gebracht, weil damit ein ganzes großes Wohngebiet, was hier oberhalb der Bundesstraße am Hang liegt, sozusagen die obere Etage von Naumburg. Und die Einwohner, die hier wohnen, haben sich natürlich gefreut, dass sie mit der Straßenbahn von hier aus bis zum Bahnhof fahren können. Also, wir haben das deutlich gemerkt.
Carola Mehner, Naumburger Straßenbahn, Öffentlichkeitsarbeit
2018 gab es dann die bislang letzte Verlängerung. Die andere Endhaltestelle im Norden Naumburgs wurde um wenige Meter direkt vor den Hauptbahnhof verlegt, so dass die Fahrgäste dort gleich von der Straßenbahn in den Zug steigen können.
Doch jetzt ruckelt Wagen 51 wieder los. Entlang der Stadtmauer geht es drei Haltestellen weiter bis zum Marientor.
Carola Mehner hat viel über die Straßenbahn zu erzählen. Eine Geschichte davon muss einfach ins Radio.
Es fahren öfter Leute mit, die lange hier in Naumburg zum Beispiel die Kindheit verbracht haben, dann ihr ganzes Leben woanders gewohnt haben und dann Naumburg wieder besuchen wollen. Und dann steigen sie am Bahnhof aus und sehen die alte Straßenbahn direkt vor dem Bahnhofgebäude stehen setzen sich rein und als erstes kommt: „ `s´wie früher“. Als ich als kleine Kind hier drinne saß. Meine Oma ist zum Friseur gegangen, hat mich beim Fahrer abgegeben, die 10 Pfennig bezahlt und hat gesagt: „Du bleibst so lange in der Straßenbahn sitzen“ – da war es noch eine Ringbahn – „bis ich dich hier wieder abhole. Und das hat zu DDR Zeiten funktioniert.
Carola Mehner, Naumburger Straßenbahn, Öffentlichkeitsarbeit
Gegenüber dem sehr gut erhaltenen Stadttors sind der Sitz, das Depot und die Werkstadt der Naumburger Straßenbahn. Das relativ kleine Gebäude mit den zwei großen Toren, der schmalen Eingangstür und dem Fachwerkgiebel sieht aus, wie auf einer Modellbahnanlage. Und tatsächlich hat ein bekannter Hersteller das Depot als Bausatz im Maßstab 1:87 vorrätig. Das Original ist 1840 als Reithalle entstanden. Ein halbes Jahrhundert später zog die Dampfstraßenbahn, danach die Elektrische ein. Inzwischen steht das Gebäude unter Denkmalschutz, ist aber das Herzstück des gesamten Betriebsablaufs. Hier stehen alle Wagen der Straßenbahn und von hier wird der Betrieb überwacht.
Ganz oben unter dem Dach empfängt mich Geschäftsführer Andreas Plehn in seinem Büro. Aus dem Fenster hat er den Blick auf die Strecke, und konnte Wagen 51 weiter Richtung Hauptbahnhof fahren sehen. Wochentags pendelt zwischen 5 und kurz nach 21 Uhr immer ein Wagen im Halbstundentakt. Am Samstag und zu Volksfesten fahren zusätzliche Bahnen. Diese Fahrzeuge sind das Kapital der Straßenbahngesellschaft.
Aktuell sind es gerade noch drei, die einsatzfähig sind. Der vierte steht kurz vor dem Abschluss einer Hauptuntersuchung. Unser fünfter Wagen wird im nächsten Jahr durchgecheckt, also er erhält auch die Hauptuntersuchung. Dann haben wir fünf Trieb- und einen Beiwagen zur regelmäßigen Nutzung.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Was eine Hauptuntersuchung ist? Andreas Plehn führt mich runter in das Depot. Auf zwei Gleisen stehen hier einige Wagen. Aus einem Fahrzeugstand sehe ich nur zwei Beine herausschauen. Der Körper ist unter Kabeln verschwunden. Hier arbeitet Johannes Weise, der Werkstattchef.
Das ist die Hauptuntersuchung unseres Triebwagens 38. Vorne im Führerstand auf der A-Seite da kommen nun alle Kabel an. ob das jetzt 24 Volt, ob das 600 Volt für den Fahrstrom ist, ob das jetzt 600 Volt Heizung, da kommt eben alles an. Und bevor man die ganzen Holzverkleidungen, Tableaus und Schalter wieder einbauen kann, muss man erst mal die ganze Verdrahtung überprüfen und neu verlegen. Auch schauen, was für die nächsten Einsatzjahre gedacht ist, an Kabeln, die ich als Reserve mal reinlege, dass man da nicht anfängt, die Bahn wieder komplett auseinander zu reißen.
Johannes Weise, Naumburger Straßenbahn, Werkstattchef
Eine Hauptuntersuchung für Schienenfahrzeuge sei gesetzlich vorgeschrieben, bei Straßenbahnen alle acht Jahre. Und sie dauert lang.
Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit einem Großbetrieb, wo so eine Hauptuntersuchung vielleicht in wenigen Monaten erledigt ist, weil es da einen Bereich Elektro einen Bereich Holz gibt und da kann jeder für sich schon mal loslegen. Bei uns gehen diese Schritte nacheinander und der Wagen mit seinen ganzen Hürden, da sind wir jetzt glaube ich im vierte Jahr schon fast dran. Und soll jetzt aber wirklich in Betrieb mal langsam gehen. Ja.
Johannes Weise, Naumburger Straßenbahn, Werkstattchef
Dieses Detailwissen sei wichtig, lobt Andreas Plehn seinen Werkstattchef, und denkt dabei sogar weit in die Zukunft:
Die Gesamtübersicht über so ein Fahrzeug zu haben, gerade mit diesen historischen Fahrzeugen – es ist halt kein Serienprodukt, was vom Band läuft, es sind Unikate. Da bin ich froh, einen Werkstattleiter zu haben, der nicht nur das gute Bauchgefühl, sondern auch das Wissen hat. Das muss weitergegeben werden. Da sehe ich auch eine Chance. In Deutschland gibt es über 60 Straßenbahnbetriebe. Jeder Betrieb hat noch historische Wagen. Aber das Wissen stirbt aus. Und es gibt heute schon Unternehmen, die nicht mehr in der Lage sind, ihren historischen Bestand zu pflegen. Vielleicht ist das ja in zehn, zwanzig Jahren eine Aufgabe, sozusagen, dass Naumburg vielleicht auch mal für andere Städte auch Teilleistungen übernimmt. Potential ist da.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Im Depot und auf einem Abstellgleis befinden sich noch einige Museumsfahrzeuge und aktuell nicht einsatzfähige Wagen, die mir Naumburgs Straßenbahnchef zeigt. Und er erzählt von dem Problem, was sich daraus ergibt, dass es seit 1991 keinen Ringverkehr mehr gibt, weil nur einen Teilabschnitt befahren wird.
Wir haben wirklich eine große Sammlung an Fahrzeugen überwiegend aus der Zeit der ehemaligen DDR. Als wir hier gestartet sind, es waren noch einige Relikte vorhanden, aber die meisten dieser Wagen waren Einrichtungswagen, das heißt, sie konnten immer nur im Kreis fahren. Es war ja eine Ringbahn. Ein Verkehr von A nach B war mit diesen Fahrzeugen nicht möglich. So wurden die Einrichtungswagen ausgesondert und wir haben zuerst aus Frankfurt an der Oder Fahrzeuge erhalten, später aus Jena und aus Halle.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Andreas Plehn will mich mit dem Naumburger Oberbürgermeister bekanntmachen, der durch die Straßenbahn überhaupt erst in diese Stadt kam. Wir sind auf dem Markt verabredet. Vom Straßenbahndepot gehen wir schräg rüber zum Post- und dann in den Lindenring. Eine kleine Straße, genau zwischen Altstadt und Dom, dem Weltkulturerbe der Stadt. Hier führte der historische Straßenbahnring bis in die achtziger Jahre zur Altstadt. Dann wurde die Bahn aus dem eigentlichen Zentrum vor die noch immer existente Stadtmauer verbannt. Die alten und jetzt ungenutzten Schienen sind im Straßenpflaster noch gut zu sehen.
Andreas Plehn kann sich noch ganz genau an den Tag im September 1982 erinnern, an dem hier seine Liebe zur Naumburger Straßenbahn entstand.
Als Zehnjähriger gab es hier eine Ausstellung. Die Naumburger Straßenbahn hat den 90. Geburtstag gefeiert. Die Stichstrecke zum Lindenring, das ist im Herzen der Stadt, zwischen Dom und Markt, dort fuhr bis 1981 die Straßenbahn noch regelmäßig, und zu dem Jubiläum fuhr die Bahn dort noch mal auf dem Ast. An diesem Tag hat mich das Straßenbahnvirus irgendwie gepackt und ich habe dann einfach gesagt, ich möchte Chef der Naumburger Straßenbahn werden.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Damals nutzen übrigens 8.000 Personen täglich die Ringstraßenbahn. Plehn bekam zu DDR-Zeiten allerdings keine Ausbildung in einem Straßenbahnbetrieb, was er damals bedauerte. Doch sein Interesse an der „Wilden Zicke“ blieb. Sieben Jahre später – 1989 – drohte die Straßenbahn in Naumburg einmal mehr eingestellt zu werden.
Meine Eltern waren so im Neuen Forum tätig. Das war ja gerade die Zeit der spannenden Wende. Und wir hatten relativ zeitig einen Kopierer und so habe ich Flugblätter gedruckt – nach dem Motto „Rettet die Straßenbahn“. Und die hatte ich dann in Naumburg einfach verteilt. Es hat sich eine Initiativgruppe „Straßenbahn“ gegründet. Wir haben dann Festivitäten veranstaltet, Leserbriefe geschrieben, Veranstaltungen in der Stadt durchgeführt. Die Stadt Naumburg war ja damals nicht unbedingt positive eingestellt zur Straßenbahn. Zur ersten Kommunalwahl hat man zwar gesagt, die Straßenbahn bleibt als Ringbahn, als Kulturgut. Aber im Endeffekt wurde sie 1991 eingestellt. Die Anlagen waren aber auch so marode und so verschlissen, dass aus heutiger Sicht, mit dem Wissen, was ich heute habe, es nachvollziehen kann, dass man aus Sicherheitsgründen den Betrieb eingestellt hat.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Was nun kam ist ein kleines Wunder. Zunächst verschwanden Straßenbahnschienen unter neuen Straßendecken, die Mitarbeiter wurden auf den Saalefähren eingesetzt. Und aus der vorübergehenden Einstellung drohte das endgültige Ende der Straßenbahn zu werden. Doch die Stadt ohne Straßenbahn – die Naumburger wollten das nicht. Und der zehnjährige Straßenbahnfan war inzwischen älter geworden, erzählt mir Andreas Plehn auf dem Weg zum Oberbürgermeister.
Ja, es gab dann viele Aktivitäten rund um die Straßenbahn. Naumburger Unternehmer hatten überlegt, sie als Touristenbahn auf Resten der Schienen hier um die Stadt herumfahren zu lassen. Und so haben sich verschiedene Kräfte zusammengefunden und kam dazu, dass sich die Naumburger Straßenbahngesellschaft 1994 dann gegründet hat. Ich war dann schon in der Ausbildung zum Erzieher. Ich hatte gar nicht mehr die Ambitionen, die Geschäfte dieser Straßenbahn zu übernehmen, aber ich habe gedacht, als Naumburger: Ich mache da mal mit. Mein erstes erspartes Geld waren dann Gesellschafteranteile. Ich habe zwar gedacht, ich wüsste alles. Heute kann ich sagen, im Endeffekt: Ich hatte keine Ahnung von Straßenbahnen. Und es war ein Wagnis. Das ich da übriggeblieben bin, weil der eine Unternehmer ist wieder ausgetreten, der andere war nicht zu gebrauchen, mein Lehrmeister ist dann leider relativ schnell verstorben, und so blieb mir gar nichts anderes übrig, sich noch mal auf die Schulbank zu setzen und umzuschulen. Mit 22 Jahren war ich wohl der jüngste Geschäftsführer eines Schienenverkehrsunternehmens.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Übrigens: Zwei Monate, nachdem die neue GmbH die Straßenbahn von der Stadt übernommen hatte, fuhren die ersten Wagen nach der Zwangspause wieder auf einem kleinen Teilstück.
Andreas Plehn und ich sind während des Gesprächs der Route der alten Ringbahn zum Marktplatz gefolgt. Rechts neben uns ist das historische Rathaus und vor uns kann man noch die zweigleisige Ausweichstelle der Straßenbahn im Pflaster erkennen. Unweit davon steht Oberbürgermeister Armin Müller im Gespräch mit Einwohnern. Seit Sommer des letzten Jahres ist er in diesem Amt – vorher war er lange Zeit Stellvertreter und Stadtplaner. Eigentlich kommt er aus Baden-Württemberg. Schuld am Ortswechsel ist mehr oder weniger die „Ille“, die Naumburger Straßenbahn.
Ja, also, in der Tat. Ich bin 1993 nach Naumburg gekommen. Ich hatte in Stuttgart Geografie und Verkehrsplanung, Stadtplanung studiert und bin dann über ein Büro hier her gekommen und habe dann vor Ort dieses Büro geleitet. Und hatte damals schon meine ersten Berührungspunkte mit der Naumburger Straßenbahn. Ich habe eine der letzten Fahrten im Jahr 91 noch mitgemacht, als wir hier eine große Verkehrszählung in Naumburg hatten und war damals schon von der „Ille“ begeistert.
Armin Müller, Oberbürgermeister Naumburg
Damals, das war die Zeit, als Andreas Plehn Straßenbahnchef wurde. Beide lernten sich so irgendwann kennen. Damals war die Stadt froh gewesen, die Verantwortung für die Straßenbahn los zu werden. Doch Armin Müller war nicht nur zu der Zeit schon Freund der Straßenbahn. Er zog irgendwann als Verkehrsplaner aus dem privatwirtschaftlichen Büro in das Rathaus und war dann ganz offiziell für die Verkehrs- und Stadtplanung Naumburgs zuständig. Und heute, als oberster Chef des Rathauses?
Also, die Naumburger Straßenbahn, die ist ein Kleinod. Die hat ein Alleinstellungsmerkmal für unsere Stadt. Ist für den Öffentlichen Personennahverkehr natürlich ein ganz wichtiges Verkehrsmittel, auch ein Anzieungspunkt für die Touristinnen und Touristen unserer Stadt. Viele Fahrten werden von Liebhabern und auch Gästen der Stadt gemacht. Für mich ist es letzendlich aber in erster Linie ein Verkehrsmittel, das gerade in diesen Zeiten, wo wir ja über Klimawandel reden, eine ganz wichtige Daseinsberechtigung hat und letzendlich ein Transportmittel ist, dass die Naumburgerinnen und Naumburger von der Innenstadt, von der Altstadt, von der Domstadt zum Bahnhof bringen soll.
Armin Müller, Oberbürgermeister Naumburg
Und da wird der Oberbürgermeister gleich wieder zum Verkehrsplaner. Denn in den nächsten Wochen will Naumburg darüber entscheiden, ob und wie die Straßenbahn erweitert wird. Das „ob“ scheint derzeit unbestritten zu sein. Es geht um einen Lückenschluss, also darum, wie man wieder einen Ringverkehr bekommt und weitere Stadtquartire an die Straßenbahn anschließt, erklärt Armin Müller.
Wir sind momentan mit dem Gemeinderat in der Diskussion über drei unterschiedliche Varianten. Es gibt für alle Varianten ein Pro und ein Contra. Aus meiner Sicht ist aber dieser kleine Lückenschluss über den Lindenring die Variante, die ich favorisiere.
Armin Müller, Oberbürgermeister Naumburg
Auch der Straßenbahnchef ist für die kleine Lösung, die bewusst auf eine Hälfte des ehemaligen Rings verzichtet, dafür aber jeweils einen kleinen Ring um die Altstadt und das Bahnhofsviertel fährt. Er erzählt mir später in seinem Büro:
Wir haben bei diesen zwei anderen Ringvarianten, die zur Diskussion stehen, Steigungen von über 6 teilweise über 8 Prozent zu bewältigen. Das hat früher alles geklappt. Das schaffen die Wagen auch. Aber wir haben das bei einem Fahrzeug gehabt: Es hat eine Neuzulassung bekommen. Und Neuzulassung bedeutet Bundesrecht. Und da wird es ganz schwierig für diese Steigungsstrecken dort auch eine Zulassung zu bekommen für diese historischen Fahrzeuge. Was mit anderen Worten bedeuten würde, wir oder die Stadt Naumburg müsste sich neue Fahrzeuge. Ob nun Neuwagen für zweieinhalb Millionen oder gebrauchte Niederflurwagen, soweit haben wir noch gar nicht gedacht. Lasst uns liebe die historische Straßenbahn erhalten. Eine Ringbahn in dieser Form gibt es in Istanbul, also ganz einmalige wäre es nicht mehr in der Welt. Natürlich, klar, wäre ein Ring auch schön, aber eine Achterbahn steht der Stadt auch zu Gesicht.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Die sogenannte Achterbahn hätte den Vorteil, dass die Straßenbahnwagen ohne irgendwo die Richtung ändern zu müssen, vom Hauptbahnhof zum Lindenring – von dort sind Altstadt und Dom zu Fuß erreichbar – und dann entlang der Stadtmauer wieder zum Hauptbahnhof fahren würde. Dadurch könnten auch Beiwagen eingesetzt werden, ohne damit kompliziert rangieren zu müssen und bei Großveranstaltung auch alle Fahrzeuge unterwegs sein. Auch wenn die Straßenbahnwagen schon alt sind, schreitet selbst die Digitalisierung voran. Seit einigen Wochen wird der Standort der im Einsatz befindlichen Wagen genau festgestellt. Dadurch kann unter anderem am Hauptbahnhof minutengenau angezeigt werden, wann die nächste Straßenbahn abfährt.
Wenn dort ein Anzeiger, ein digitaler Anzeiger ist, auf den man dann auch in Echtzeit erkennt, es dauert noch fünf Minuten, ich brauch nicht einen komplizierten Fahrplan lesen. Ach, na, fünf Minuten, da kann ich doch warten. Und wenn wir den Prozess verpassen, digital auf der Welt unterwegs zu sein, dann sind wir irgendwann nur noch übrig für Fahrgäste, die aus nostalgischen Gründen ankommen. Und wir brauchen eigentlich jeden.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer
Naumburgs Straßenbahnchef Andreas Plehn guckt weiter in die Zukunft und fasst seine Ideen für das Radio zusammen:
In zehn Jahren haben wir doppelt so viele Fahrgäste, wie heute – also 1.000 Gäste am Tag im Durchschnitt auf dieser Strecke. Natürlich mit einem weiteren Ausbau, mit einer Taktverdichtung, mit einer Anpassung, auch einer Vernetzung mit dem Stadtbusverkehr ist ganz wichtig. Also, das kann alles gelingen. Ich bin einfach der Meinung: Wir können nicht erwarten, dass die Menschen von heute auf morgen ihr Auto stehen lassen, sondern wir müssen in Vorleistung gehen. Wir brauchen erst ein Nahverkehrssystem, was funktioniert, vor allem auch im ländlichen Raum. Und wenn dieses Verkehrssystem funktionier, kann ich auch von den Menschen erwarten, dass sie mal umdenken, dass sie umsteigen.
Andreas Plehn, Naumburger Straßenbahn, Geschäftsführer