Kommentar: Bundesanwaltschaft weiß, dass sie nichts weiß

MDR INFO, 28.05.14
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Angeblich will der Generalbundesanwalt keine Ermittlungen wegen des abgehörten Handys von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufnehmen. Auch die mutmaßliche Überwachung unzähliger Telefonaten und E-Mails von ganz normalen Bundesbürgern durch die NSA soll nicht weiter untersucht werden. Dazu mein Kommentar.

Als ich heute Morgen las, was die Kollegen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung herausbekommen haben, da traf mich fast der Schlag. Wenn das stimmt – und danach sieht es aus -, dann zweifle – dann verzweifle – ich am Rechtsstaat Deutschland. Die Bundesanwaltschaft will offenbar keine Ermittlungsverfahren aufnehmen – der Verdacht, dass das Kanzlerinnen-Handy von den USA abgehört wurde – und vor allem der Verdacht, dass unzählige Kommunikationen der Bundesbürger illegal direkt auf dem Tisch der NSA landeten, soll nicht weiter untersucht werden.

Eigentlich bin ich stolz darauf, in diesem Rechtsstaat zu leben. Aber genau deshalb muss ich sagen: Ich bin zutiefst empört, wie die Bundesregierung, Union, SPD  und jetzt offenbar auch die Staatsanwaltschaft den Forderungen aus den USA nachgeben, wenn es um deren Auslandsgeheimdienst NSA geht.

Da gibt es diesen Verdacht, dass nicht nur das Telefon der Bundeskanzlerin abgehört wurde, sondern auch unzählige Kommunikationen von ganz normalen Bundesbürgern mitgehört oder mitgelesen wurden.

All das wissen wir, weil ein gewisser Edward Snowden diverse Geheimnisse der US-Regierung veröffentlicht hat. Und dieser Snowden, einstmals für die NSA tätig, bemüht sich geradezu flehentlich darum, in Deutschland aussagen zu dürfen.

Der gesunde Menschenverstand würde jetzt sagen: Prima, der Hauptzeuge will in Deutschland auspacken. Dann kommen wir voran. Dann erfahren, was wirklich geschehen ist. Die Ermittlungen können beginnen.

Doch was passiert? Man streitet sich, wie und wo Snowden aussagen darf, ob er überhaupt aussagen darf und wie man seine Sicherheit schützen und ob man sie überhaupt schützen kann.

Und dann kommt das: Die Bundesanwaltschaft will offenbar keine Ermittlungsverfahren aufnehmen. Man käme an keine Fakten. Man sehe keinerlei Möglichkeiten, an belastbares Material über die Aktivitäten der Amerikaner zu kommen. Überhaupt sei alles schrecklich und deshalb hätten Ermittlungen nur symbolhaften Charakter.

Unglaublich.

Es gibt inzwischen drei detaillierte deutschsprachige Bücher  von Journalisten, die mit Snowden sprachen und dessen Dokumente sahen.

Deutschland hätte die Möglichkeit, direkt mit Snowden zu sprechen.

Und ganz wichtig: Wenn es in Deutschland nicht mehr möglich ist, festzustellen, wer das Kanzelerinnen-Handy abgehört hat, wie ist es dann um die Sicherheit im Lande bestellt?

Ganz zu schweigen, dass angeblich Millionen Nachrichten normaler Bundesbürger abgefangen wurden. So etwas hinterlässt in der digitalen Welt Spuren – auch ganz analoge: Glasfaserkabel könnten geritzt worden sein. Ungebetene Besucher könnten im Frankfurter Internetknotenpunkt eingedrungen sein. Und dann – ganz digital – gibt es normalerweise auch sogenannte Log-Protokolle, die Unregelmäßigkeiten auf den Servern protokollieren.

Kaum vorstellbar, dass man schon vor Beginn von Ermittlungen weiß, dass man nichts weiß.

Eigentlich wäre das Strafvereitelung im Amt.

(c) Michael Voß, www.michael-voss.de

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