Können Ärzte einfach einen Notfalldatensatz anlegen?

Meine Gesundheitskarte

Können Ärzte einfach einen Notfalldatensatz anlegen?

Ein Hörer aus Thüringen, der anonym bleiben möchte, hat MDR Aktuell in der Rubrik „Hörer machen Programm“ auf ein Problem mit dem sogenannten Notfalldatensatz hingewiesen. In Rechnungsübersicht, die auch gesetzliche Krankenkasse auf Nachfrage zur Verfügung stellen, tauche regelmäßig nach Arztbesuchen die Position „Notfalldatensatz“ auf. Er habe nie die Zustimmung dafür gegeben, dass solch ein Datensatz angelegt werde. Der Hörer will nun wissen, ob das ok sei. Für das Nachrichtenradio MDR Aktuell bin ich der Frage nachgegangen.

Den sogenannten Notfalldatensatz gibt es tatsächlich. Das bestätigt der Landesdatenschutzbeauftrage von Thüringen, Lutz Hasse. Mögliche Allergien, verschriebene Medikamente, die Blutgruppe und andere Dinge können auf der sogenannten Elektronischen Gesundheitskarte abgespeichert werden, die moderne Version der Karte, die man bei Arztbesuchen immer vorzeigen muss. In einem Notfall könnten diese Daten dann digital herausgelesen werden. Doch:

Wenn es stimmt, was ihr Hörer sagt, dann ist da etwas schief gelaufen.

Lutz Hasse, Landesdatenschutzbeauftragter Thüringen

Denn es gebe ein umfangreiches Sicherheitskonzept. Jeder Patient könne bestimmen, ob überhaupt und welche Notfalldaten über ihn gespeichert werden.

Das läuft technisch so ab, dass der Patient seine Elektronische Gesundheitskarte dem Arzt gibt. Der Arzt hat ein Heilberufeausweis. Beide Karten werden in ein System eingeloggt. Und dann werden noch vom Arzt und vom Patienten Pinnummern eingegeben.

Lutz Hasse, Landesdatenschutzbeauftragter Thüringen

Genauso verlaufe es auch, wenn der Arzt neue Informationen abspeichert. Zustimmung kommt vom Pressesprecher der Kassenärztliche Vereinigung Thüringen, Matthias Streit:

Grundsätzlich gilt: Sofern ein Notfalldatensatz angelegt wird, muss der Patient zustimmen.

Matthias Streit, Kassenärztliche Vereinigung Thüringen

Streit hat allerdings eine Idee, was bei unserem Hörer offenbar abgerechnet wurde. Es handele sich um eine sogenannte Strukturpauschale:

Die Pauschale soll die Kosten der Praxis für die Schnittstelle des Notfalldatenmanagements abgelten. Das heißt aber auch konkret:  Sie sagt jetzt nichts darüber aus, ob vom Patiente überhaupt jemals ein Datensatz erhoben wurde.

Matthias Streit, Kassenärztliche Vereinigung Thüringen

Entwarnung also für unseren Hörer? Nicht ganz, findet Lea Schwarzlmüller. Sie ist Mitglied im Chaos Computer Club, Datenschutzexpertin und studiert in Berlin Medizin. Ärzte können in Notfallsituationen oder solchen, in welchen der Patient nicht ansprechbar ist, den Notfalldatensatz auch ohne PIN und damit ohne direkte Einwilligung des Patienten auslesen. Daher empfiehlt Lea Schwarzlmüller sich gut zu überlegen, ob man seine Daten auf der Gesundheitskarte speichern möchte und wenn ja, welche.

Ist es mir ein Bedürfnis, dass Rettungskräfte im Notfall wissen, welche Medikamente ich nehme, welche Vorerkrankungen ich habe – und wenn „ja“: Was möchte ich darauf hinterlegen? Ich habe natürlich das Risiko, dass es in falsche Hände gelangt. Dem muss ich mir bewusst sein.

Lea Schwarzlmüller, Mitglied im Chaos Computer Club, Medizin-Studentin und Datenschutzexpertin

Der Landesdatenschutzbeauftragte von Thüringen denkt inzwischen selbst darüber nach, seinen eigenen Notfalldatensatz anzulegen.

Ich bin jetzt auch schon ein bisschen älter.  Für ältere Menschen, die vielleicht auch ein bisschen vergesslich werden, halte ich die Sache für gut.

Lutz Hasse, Landesdatenschutzbeauftragter Thüringen

Lutz Hasse verweist auch auf Apps, die den Datensatz ausschließlich auf dem eigenen Handy speichern – unabhängig von der Gesundheitskarte.

Anmerkung

In einer früheren Textfassung und im Audio heißt es, die Elektronische Gesundheitskarte habe eine Hintertür. Das ist nicht der Fall und bezieht sich auf die Elektronische Gesundheitsakte.

Dieses Textpassage wurde entfernt und durch die Information, dass es in Notfallsituationen die Möglichkeit gibt, die Daten auch ohne Zustimmung des Patienten auszulesen.

Die Interviewpartnerin und ich hatten uns leider missverstanden.