Faktencheck: Ist Russland schuld an dem Giftanschlag in Großbritannien?

Der 66-jährige Ex-Spion Skripal und seine 33-jährige Tochter sind Anfang des Monats im südenglischen Salisbury bewusstlos aufgefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einer Klinik um ihr Leben. Nach britischen Angaben soll Russland die beiden vergiftet haben. 23 russische Diplomaten wurden deshalb aus dem Land verwiesen. Doch wie sieht es mit den Fakten aus. War Russland schuld? Für MDR Aktuell machte ich den Faktencheck.

Deutschland, Frankreich, die USA und Großbritannien bescheinigten gestern in einer gemeinsamen Erklärung eine – so wörtlich – „hohe Wahrscheinlichkeit“ das Russland hinter dem Giftanschlag stecke. Statt Fakten gibt es nur Indizien. Bislang sind es vier Punkte, die für eine Tätersuche Hinweise liefern könnten.

Punkt 1: Der Anschlag wurde mit dem Nervengift Nowitschok verübt

Das ist eine Aussage, die direkt von der britischen Regierung kommt. Unabhängige Analysen, um welches Gift es sich handelt, gibt es bislang nicht. Fakt dagegen ist: Das genannte Gift Nowitschok ist nach Angaben von Wissenschaftlern schwer nachweisbar. Vor seinem Einsatz bestehe es aus zwei Stoffen, von denen jeder ungiftig sei. Erst wenn beide Stoffe zusammengebracht werden, entstehe das tödlichste bekannte Nervengift überhaupt. Es trete über die Atmung oder über Hauptkontakte in den menschlichen Körper ein. Nach Angaben der britischen Regierung wurden Spuren nicht nur bei den Anschlagsopfern, sondern auch in einer Pizzeria und einer nahen Kneipe entdeckt.

Punkt 2: Die Spur des Giftes führt in das heutige Russland

Zumindest historisch gesehen könnte das stimmen. Das bestätigen unterschiedliche Wissenschaftler. Nowitschok wurde demnach in den 1970er und 1980er Jahren in der Sowjetunion entwickelt. Im Oktober 1991 schrieb sogar eine Moskauer Zeitung darüber. Dagegen hieß es am Abend aus dem russischen Außenministerium: Es habe weder in der Sowjetunion noch in Russland Programme zur Entwicklung chemischer Kampfstoffe mit dem Namen Nowitschok gegeben.

Punkt 3: Hat Russland ein Motiv?

Selbst die britische Premierministerin May schränkt in ihrer Ansprache vor dem Parlament die möglich Schuld Russlands ein: Entweder handele es sich um einen direkten Akt des russischen Staates gegen Großbritannien. Oder – und das ist die Einschränkung – die russische Regierung habe die Kontrolle über dieses Nervengift verloren, sagte May. Beides sind nur Vermutungen und keine belegbaren Fakten.

Aus Moskau heißt es dazu, Russland habe direkt vor der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land überhaupt kein Interesse an den nun entstehenden weltweiten Verwicklungen – und insofern auch kein Motiv für den Giftanschlag.

Stattdessen heißt es

Punkt 4: Großbritannien hat ein Motiv für den Anschlag

Dieses Motiv nennt das Außenministerium in Moskau: London sei neidisch, weil Russland die Fußballweltmeisterschaft 2018 durchführen dürfe. Fakt ist, dass Großbritannien bei der Bewerbung dafür leer ausging. Doch alles andere ist eine Vermutung der russischen Regierung, für die keinerlei weitere Fakten bekannt sind.

Zusammenfassung

Fakten gibt es wenige, Vermutungen und Indizien dagegen viele. All das reicht nicht für ein ordentliches Gerichtsverfahren in Großbritannien – und genau deshalb dauern die polizeilichen Ermittlungen noch immer an. Die Politik allerdings ist daran nicht gebunden und antwortet mit der Ausweisung von Diplomaten und der gemeinsamen Erklärung an Moskau.

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In der ursprünglichen Fassung hieß es, die Duma habe vor zwei Jahren beschlossen habe, „dass Überläufer und Hochverräter auch im Ausland liquidiert werden können“. Quelle dafür waren zwei voneinander unabhängige Zeitungsartikel (aus Deutschland und Österreich), die genau das berichteten. Nach aktuellen Recherchen des ARD-Hörfunkstudios in Moskau gibt es einen solchen Beschluss der Duma nur zu Terroristen, nicht aber zu Überläufern oder Hochverrätern.