Voß: Ein Richter, ein Politiker, beide sind Internetkenner: Ulf Buermeyer und Thomas Jazombek. Bleiben wir gleich bei ihnen, Herr Jazombek. Sie sind Bundestagsabgeordneter und sind so etwas wie der Internetspezialist auch in ihrer Fraktion. Wenn man so von außen auf den Bundestag guckt, hat man ab und zu den Eindruck: Da gibt es gar nicht so viele Abgeordnete, die auch wirklich Internetkenntnisse haben. Müssen Sie ihre Kollegen oft von ihren Themen Überzeugen?
Jarzombek: Ich glaube, in einer Demokratie ist Überzeugungsarbeit und Argumentation das Entscheiden und es ist schon richtig: Wir sind Spezialisten in einem bestimmten Themengebiet, also unsere Arbeitsgruppe. Das heißt: Der Bundestag hat einen von 23 Ausschüssen dem Thema Digitalisierung gewidmet und wir verbringen viel Zeit damit, mit unseren Kollegen aus den anderen Ausschüssen zu reden, zu argumentieren und zu überzeugen. Und ich bin jetzt nach drei Jahren mit dem Ergebnis auch durchaus zufrieden.
Voß: Herr Buermeyer, sie sind Richter. Das ist auch nicht unbedingt der Internetspezialist. Sie sind es aber. Welche Erfahrung haben sie denn mit der Politik?
Buermeyer: Natürlich gibt es in der Politik Internetexperten und ich habe ja auch jetzt gerade das Vergnügen, mit einem der Experten aus der Unionsfraktion zu sprechen – und mit ihnen natürlich. Aber es ist, denke ich, schon noch ein weiter Weg bis zu dem Punkt, wo man sagen kann: Wirklich alle Entscheidungsträger haben jedenfalls die Grundzüge dessen verstanden, was das Internet ausmacht.
Wie gut ist die Netzneutralität in Deutschland geregelt?
Voß: Nun nehmen wir das mal auf. Es nutzen fast alle das Internet, alle sollen darin auch gleich sein, das ist eigentlich der Grundgedanke beim Internet. Da gibt es das Stichwort „Netzneutralität“. Da die Frage: Ist die in Deutschland gut geregelt? Was sagen sie als Politiker?
Jarzombek: Das Thema Netzneutralität ist auf der europäischen Ebene geregelt und das macht ja auch Sinn, weil sie bei ihren Angeboten, die sie aufrufen, heute gar nicht mehr wissen, ob der Server jetzt in Düsseldorf oder in Amsterdam steht. Die europäische Regelung ist deshalb hilfreich und sie sagt jetzt erstmal, das grundsätzlich alle Daten gleich zu behandeln sind. Es sieht darüber hinaus aber vor, dass es auch Spezialdienste geben darf. Ich glaube, das darf nur am Ende für solche Dienste passieren, wie jetzt ich sag mal zum Beispiel das „connected car“, wo sie wirklich diese missionskritische Zeit brauchen. Und dann müssen aber auch alle Anbieter innerhalb einer solchen Diensteklasse gleich behandelt werden.
Voß: Vielleicht um das noch mal zwischendurch etwas genauer zu erklären: Es ist ja immer wichtig, dass man die Dinge, die man im Internet hat, ob es Videos sind oder ob es Bilder sind, über diese Kanäle durchkommen. Das muss man sich ähnlich wie eine Wasserleitung vorstellen. Wenn da ganz viel kommt an Video, hat es zum Beispiel ganz viele Daten. Dann braucht es länger, um durchzukommen, als ein einfaches Foto. Und nun muss entschieden werden, wem gibt man Vorrang – oder es muss nicht entschieden werden. Netzneutralität würde ja eigentlich heißen: alles kommt, wenn es da ist, sofort rein und es wird nirgendwo auf Vorwand geschaltet, also kein Video, was eher reinkommt. Wie sehen sie das, Herr Buermeyer, als Jurist?
Buermeyer: Ich denke, Herr Jazombek hat einen ganz wesentlichen Punkt angeschnitten, nämlich dass, wenn man im Internet differenziert nach bestimmten Datenarten, dass es dann tatsächlich nach technischen Kriterien ablaufen muss und nicht danach zum Beispiel, wer für eine Überholspur im Internet bezahlt hat. Dann würde beispielsweise Google sagen: Wir buchen jetzt einfach 99 Prozent des Traffics. Das ist natürlich etwas polemisierend, aber das wäre so eine Schreckensvorstellung und dann wäre es zum Beispiel für kleine Startups nicht mehr so einfach möglich, Konkurrenz zu machen. Deswegen denke ich, hat er da auf einen wesentlichen Punkt hingewiesen. Wenn man das mal so ein bisschen in klassischen Kategorien abbilden will, halte ich die Netzneutralität im Grund für so eine Art Kartellrecht des 21. Jahrhunderts. Denn es geht im Wesentlichen darum, Wettbewerbsverzerrungen im Internet dadurch zu verhindern, dass man möglichst gleiche Regeln für alle schafft und Differenzierungen nur zulässt nach technischen Kriterien. Die allerdings halte ich auch für notwendig. „Connected Car“ ist schon als Beispiel gefallen. Aber ganz plastisch gilt es auch für Internettelefonie-Anwendungen zum Beispiel, denn da zählt einfach jede Sekunde, oder Bruchteile einer Sekunde zählen schon, sonst stottert das Gespräch. Während es bei einer Webside keinen großen Unterschied macht, ob sie ein oder zwei Sekunden länger lädt.
Voß: Wo wären denn bei ihnen die Möglichkeiten, dass man entscheidet: der darf auf eine Überholspur und der nicht? Wie sieht es in der Politik aus, Herr Jazombek?
Jarzombek: Wir gucken hier vor allem, und da glaube ich, wird das Thema Netzneutralität relevant, bei Mobilfunk der fünften Generation. Das wird ab 2020 möglich sein und da können sie zum ersten Mal in Echtzeit kommunizieren. Dann kommt es, um in ihrem Bild zu bleiben, nicht mehr nur auf die Breite der Wasserleitung an, also wieviel Wasser fließt da so durch, sondern darauf: Wenn ich den Hahn aufdrehe – wann kommt der erste Tropfen? Wenn sie so ein „connected car“ beispielsweise nehmen, dann ist es so: Wenn sie fünf Autos steuern, dann brauchen die relativ großen Sicherheitsabstand, wenn die über Datenleitung in Echtzeit verbunden sind, können die diese Abstände radikal verkürzen, weil das fünfte Auto synchron mit dem ersten eben bremsen kann. Und das ist halt eben eine typische Anwendung, und da muss die Notwendigkeit dieses technischen Erfordernisses, die muss nach vorne gestellt sein.
Voß: Aber wer entscheidet darüber?
Buermeyer: Die Spielregeln hat im Grundsatz ja der europäische Gesetzgeber aufgestellt und jetzt wird es darauf ankommen, diese Spielregeln gleichsam runter zu brechen auf die Praxis. Und da wird es ankommen auf eine genaue Koordination zwischen den europäischen Aufsichtsbehörden.
Jarzombek: Also konkret ist das die BEREC, das ist sozusagen der Zusammenschluss der Bundesnetzagenturen aller europäischen Länder, also der nationalen Regulierer.
Voß: Bis vor kurzem gab es sozusagen über dem Internet eine Behörde, die entscheiden hat, welche Domains, welche Top-Level-Domains, also wirklich die obersten, .de, .com, wohin vergeben werden. Und diese Behörde stand bis vor kurzem, bis zum September unter der Aufsicht der USA. Das ist jetzt umgewandelt worden, das ist jetzt eine Nonprofit-Gesellschaft geworden. Aber trotzdem stellt sich ja die Frage: Wer beherrscht heute das Internet und wer wird künftig das Internet beherrschen? Wie sehen sie das als Jurist?
Buermeyer: Das ist eine interessante Frage, weil das Internet ja von seiner Natur her ein internationales Medium ist, das heißt: Es stellen sich im Prinzip immer dieselben Fragen der internationalen Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung. Normalerweise setzt man da auf Verträge zwischen Staaten. Das Internet entwickelt sich aber so dynamisch, dass die klassischen Mechanismen nicht mehr so richtig funktionieren, einfach weil sie zu lange dauern würden. Und deswegen begrüße ich es, dass hier jetzt wenn man so will eine außerstaatliche Institution geschaffen wurde, die aber von den Vereinigten Staaten jetzt ja letztlich mit der Verantwortung beauftragt wurde, für die Regulierung des Internets zu sorgen. Wobei man immer festhalten sollte: Es handelt sich dabei ja gerade nicht um eine inhaltliche Regulierung sondern es geht im Grunde nur darum, wie das Domainnamen-System organisiert wird, also die Auflösung von Namen wie zum Beispiel rbb zu einer IP-Adresse.
Voß: Wie sehen sie das jetzt aus der Politik? Wer soll das künftig kontrollieren? Bleibt das weiterhin in den USA oder wird da irgendwas noch mehr internationalisiert?
Jarzombek: Das, wo man sich Sorgen machen kann oder was die Frage ist: Ob man möglicherweise Teile des Internets von anderen abtrennen kann. Da rede ich jetzt von Staaten wie Russland oder von China, wo natürlich eine andere Interessenslage darin besteht, auch technische Standards einzuführen, die Überwachungen ermöglichen und da muss man immer sehr vorsichtig sein, bei der Neuorganisation von Icon, worüber wir hier reden, dass da nicht der Einfluss von Staaten mit einem totalitären Blick zu groß wird.
Voß: Ist es nicht so, dass mittlerweile aus diesem Wissenschaftsnetz, was es ja ganz ursprünglich war, ein doch sehr kommerzielles Netz entstanden ist, wo man den Eindruck hat, Google beherrscht es eigentlich?
Buermeyer: Google hat eine extrem wichtige Gatekeeper-Funktion, Google ist quasi der Türhüter des Internet. Denn was nicht auf der ersten Google-Trefferseite erscheint, das findet im Internet de facto kaum noch statt. Das sind einige wenige Akteure, die tatsächlich weitgehend bestimmen, was wir im Internet wahrnehmen und sie haben damit einen enormen Einfluss bekommen auf die Meinungsbildung und man kann auch sagen auf den demokratischen Diskurs. Und deswegen halte ich es aus der demokratischen Perspektive für so problematisch, dass es bislang kaum gelungen ist, tatsächlich so etwas wie Rechtsdurchsetzung im Internet zu etablieren. Denn die entscheidenden Unternehmen haben typischerweise ihren Sitz in den Vereinigten Staaten, meistens in Kalifornien, und berufen sich dann darauf, dass sie im Grundsatz zum Beispiel dem deutschen Recht nicht unterworfen sind. Wenn ein Mensch in Deutschland auf Deutsch auf Facebook irgendetwas schreibt, das gegen das deutsche Strafrecht verstößt, dann können wir uns nicht darauf zurückziehen, dass wir sagen: Das ist eine amerikanische Firma und deswegen geben wir die Strafverfolgung auf. Bislang ist es so, dass Facebook leider nur sehr selektiv kooperiert. Es gibt Fälle, da klappt es sehr gut, es gibt aber leider auch viele Fälle, bei denen die Ermittlungsbehörden auf Granit beißen. Und das, denke ich, können wir auf Dauer so nicht hinnehmen. Was ich mir vorstellen könnte, wäre zum Beispiel eine Kontaktstelle von Facebook in Deutschland, an die sich deutsche Ermittlungsbehörden wenden können. Denn mal ganz ehrlich: Facebook unterhält ja Büros in Deutschland, verkauft zum Beispiel Werbung nach deutschem Recht und auf Deutsch. Und warum ist dort nicht ein Ansprechpartner verfügbar, zum Beispiel für die Polizei, um Auskunft zu geben darüber, wer einen bestimmten Beitrag geschrieben hat. Und das ginge ohne Gesetzesänderung, das muss man sich überlegen. Die notwendigen Gesetze, zum Beispiel das Telemediengesetz, haben wir schon. Es gibt diese Abfragemöglichkeiten, Facebook antwortet nur in vielen Fällen nicht. Und hier würde ich mir von der Politik den nötigen Druck auf Facebook wünschen, zu sagen: Liebe Leute, ihr könnt euch hier nicht auf Irland oder auf Kalifornien zurückziehen, ihr arbeitet in Deutschland und ihr seid hier auch in der Verantwortung, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten.
Voß: Die Frage gebe ich gleich weiter. Wie sieht es bei ihnen aus?
Jarzombek: Ich glaube nicht, dass da ein Widerspruch ist, sondern wir haben ja jetzt einen relativ langen Weg gerade mit Facebook hinter uns, was das Thema Durchsetzung von deutschem Strafrecht betrifft. Und die Situation, als das Thema „Hatespeech“ geradezu explodiert ist rund um das ganze Flüchtlingsthema, führte zunächst einmal dazu, dass die Reaktionszeiten extrem lang waren und auch sehr intransparent war, wie dann eigentlich entschieden wurde darüber, ob man Dinge löscht oder nicht löscht oder an Strafbehörden übergibt. Und da, muss man schon sagen, ist Facebook besser geworden, auch durch den Druck der Politik. Die Dinge werden jetzt schneller beantwortet. Man hat auch offensichtlich eine Task Force hier gegründet mit relativ vielen Leuten, die auch hier offenkundig in Berlin sitzen und diese Fälle eben beantworten. Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, dass ich nicht gerne sehen möchte, dass eine private Organisation anfängt, darüber zu entscheiden, was ist rechtens und was nicht und Dinge einfach zu löschen. Das haben wir auch bei Google bei diesem „Recht auf vergessen werden“, wo sie auch einen Anspruch stellen können, nach gewisser Zeit Dinge aus dem Index zu löschen. Ebenfalls passiert das extrem intransparent und die Möglichkeiten, sich als Autor eines Artikels dagegen zur Wehr zu setzen, sind sehr schlecht. Wir haben die Meinungsfreiheit in Artikel 5 Grundgesetz, die muss geschützt werden. Und deshalb ist es mir an dieser Stelle wichtig, dass Facebook lieber weniger als mehr löscht. Nur das, wo sie wirklich sicher sagen können, dass das also wirklich gesetzeswidrig ist. Und den Vorschlag mit der Ansprechstelle, den sollten wir aufnehmen. Ich habe das bisher als Problem noch nicht so identifiziert, dass die Strafbehörden da so einen schlechten Zugriff dazu haben, aber das wird etwas sein, dem ich mich sehr gerne anschließe. Denn ich glaube, es ist wirklich wichtig, dass man hier auch mal in gewisser Hinsicht Exempel statuiert, damit diese Strafen auch eine abschreckende Wirkung haben.