MDR INFO, 11.09.12
Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Arzt, der behandelt sie und forscht nebenbei noch ein wenig herum, ohne ihnen darüber etwas sagen zu müssen. Dadurch verdient er sich ein wenig Geld dazu, welches direkt von der Pharmaindustrie kommt.
Anwendungsbeobachtungen – Ärzte wissen, was das ist. Normalpatienten weniger. Dafür sind sie – ohne es zu wissen, denn die Information des Patienten ist nicht vorgeschrieben – eventuell ein menschliches Versuchstier.
Das Arzneimittelgesetz beschreibt es so:
„Untersuchungen, die dazu bestimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sammeln“.
Das allein scheint schon fragwürdig. Doch es gibt noch mehr Vorwürfe: Transparancy International definert die Anwendungsbeobachtungen als
„legalisierte Korruption“.
Die Idee hinter den Anwendungsbeobachtungen klingt recht harmlos: Pharmaunternehmen lassen ihre Medikamtente durch behandelnde Ärzte untersuchen. Diese melden, wie das Medikament wirkt und was ihnen auffällt. Natürlich anonymsiert. Doch für diese Leistung, die der Arzt eigentlich sowieso machen muss, werden Gelder bis zum 1.000 Euro von den Pharmaunternehmen direkt an den Arzt gezahlt. Diesen Betrag kennt auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung, das Aufsichtsgremium für die Ärzte. Roland Stahl:
Also diese Summe kenne ich vom Hörensagen auch. Man muss fairerweise sagen, es ist durchaus in Ordnung, wenn ein Arzt für den Aufwand, den er hat, eben, dass er Studien durchführt, eine Aufwandsentschädigung bekommt, nur diese Aufwandsentschädigung muss natürlich im Verhältnis zum richtigen Aufwand stehen.
Und genau da hat Transparancy International Bedenken. Sprecherin Angela Spelsberg, sie ist selbst Ärztin, formuliert das, was in einem Vorabdruck für das Jahrbuch der Informationsfreiheit von ihrer Organisation noch „legalisierte Korruption“ genannt wird, etwas zurückhaltender:
Wir haben durch Vorauswertungen bestimmte Präparate genannt bekommen, bzw. es uns darüber berichtet worden, dass schon lange im Markt befindliche Arzneimittel eben pötzlich wieder einen höheren Marktanteil bekommen haben, und das wurde direkt zurückgeführt , darauf, dass eben eine Anwendungsbeobachtung in dem Bereich eben statt gefunden hat.
Sprich: Die Ärzte kassieren das Honorar für die Anwendungsbeobachtungen von der Pharmaindustrie und verordnen künftig das Medikament, um das es ging. Statistisch könnte das hinkommen, denn nach einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse erzielten Medikamente nach diesen sogenannten Beobachtungen Umsatzsteigerungen von 10 bis über 400 Prozent.
Für die Arzneitmittelhersteller ist dieser Vorwurf unvorstellbar, die Tatsache an sich aber erklärbar. Joachim Odenbach vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie:
Also diese Verschreibungswechsel sollten nicht sein, es kann aber natürlich immer passieren, wenn sie Arzt sind und sehen, ich habe jetzt hier ein Arzneimittel, dass sich sehr gut verträgt, und ich stelle fest, es hat wirklich wenig Wechselwirkung, könnte ich tatsächlich aus therapeuthischen Erwägungen außerhalb der Anwendungsbeobachtung durchführen.
Transparancy International befürchtet, dass diese Praxis zusätzliche Kosten für die Krankenkassen in Milliarendhöhe mit sich bringt. Deshalb hat die Antikorruptionsorganisation jetzt per Gerichtsbeschluss erreicht, das die Kassenärztliche Bundesvereinigung als Aufsichtbehörde der Ärzte vorhandenen Dokumente zur Einsicht zur Verfügung stellen muss.