Heute vor 23 Jahren, am 9. Oktober 1989, gingen in Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße, um gegen die DDR-Führung zu protestieren. Es war ein wirksames und machtvolles Zeichen der friedlichen Revolution, der Wende. Das befürchtete Blutbad blieb aus, auch wenn es offenbar kurz davor war. Für MDR INFO sprach ich mit einem Zeitzeugen, der damals in Leipzig mit dabei war.
Der Diplom-Physiker und ehemalige Lehrer Roland Mey ist nicht einfach. Das hat er auch nie behauptet. Er ist beharrlich. Vergeben ja. Aber nicht vergessen. Die DDR und die Unterdrückung des Volkes, das ist bis heute sein Thema. Der 9. Oktober 1989 ist für ihn einer der Tage, die er nie vergessen wird. Frisch am Bein operiert stand er damals auf Krücken mit seiner Frau zusammen am Leipziger Ring und konnte nicht mitlaufen. Die Demonstranten hatten Furcht vor denen, die am Straßenrand standen und beobachteten – auch vor Roland Mey -, denn viele der Beobachter gehörten wohl der Stasi an.
Wir konnten in den Gesichtern die Angst der Demonstranten sehen. Und als der Ruf kam „Schließt Euch an!“ oder „Reiht Euch ein!“, da habe ich mit meiner Krücke gewunken und, so, wie wir mit den Krücken gewunken haben, so haben sich die Gesichter für einen kurzen Moment aufgehellt.
Nur wenig weiter von seinem Standort ist die Hauptpost. Von hier ging eine direkte Gefahr für die Demonstranten aus, wie Mey wenige Wochen später als Mitglied des neugegründeten Leipziger Bürgerkomitees herausbekam.
Ich hab später im Bürgerkomitee bearbeiten müssen, einen Hinweis, dass in der Post oberhalb des Karl-Marx-Platzes in der oberen Etage Maschinengewehre gelagert waren an diesem Tag.
Im Bürgerkomitee war er für den Aufbau von Betriebsräten in Leipzig zuständig, so dass sein Name nicht ganz unbekannt war. So bekam er dann einen anonymen Brief von Bereitschaftspolizisten aus der Kaserne in der Essener Straßen, in dem die sich beschwerten ….
… dass im Februar/März der Kommandant, der sie am 9. Oktober vormittags mit dem Satz belehrt hatte „Wenn sie heute abend auf meinen Befehl nicht auf das bewusste Knöfpchen des Maschinengewehr drücken, stehen sie morgen früh vor dem Militärstaatsanwalt. So hatte der die Leute belehrt. Und der war immer noch Kommandant dieser Einheit.
Mey wurde klar, dass es offenbar auf mittlerer Ebene einen von oben eigentlich bestrittenen Schießbefehl am 9. Oktober 1989 gegeben hatte. Deshalb nahm er Kontakt zu dem Kommandanten auf.
Der Oberstleutnant ist zu mir dort hingekommen. Und mir ist es in einem Gespräch gelungen – der anonyme Brief war ja nichts wert, weil er anonym war -, dass er bestätigt, dass er diese Belehrung, die in diesem anonymen Brief genannt wurde, so stattgefunden hat. Das hat er unterschrieben.
An all das erinnert sich Roland May immer wieder zum Jahrestag. Und er gibt diese Erinnerungen weiter: Als Zeitzeuge diskutiert er mit Schülern über seine Erlebnisse, weil er möchte, dass die junge Generation erfährt, was in der DDR passiert ist. Beharrlich und mit viel Energie.