„Wir brauchen die nicht mehr“ – meine Kritik an den Thesen des CDU-Politiker Friedrich Merz über Journalisten

Michael Voß

Friedrich Merz will CDU-Chef werden. Und in diesem offiziell noch gar nicht eröffneten parteiinternen Wahlkampf stellt er eine steile These über Journalisten auf, die ich für brandgefährlich halte: „Wir brauchen die nicht mehr“.

Wörtlich sagte er:

Im Augenblick gibt’s ja eine richtige Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten, und denen, die Nachrichten erzeugen. Und zwar zugunsten derer, die die Nachrichten erzeugen. Wir brauchen die nicht mehr. Und das ist das Schöne. Sie können heute über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle, über Youtube, Sie können ein Publikum erreichen, das teilweise die Öffentlich-Rechtlichen, auch die privaten institutionalisierten Medien nicht mehr erreichen. Wenn man das richtig nutzt, wenn man das gut macht, dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten über das, was Sie gesagt haben. In ganz anderer Form, als wir das früher gehabt haben. So, und das ist die gute Nachricht der Digitalisierung.

Friedrich Merz, CDU (Quelle: Westdeutsche Zeitung, 17.02.2020)

Ein paar Dinge gilt es hier offenbar klarzustellen und das möchte ich aus der Sicht einen Menschen machen, der seit Mitte der 80er Jahre als Journalist arbeitet und der in den 80er Jahren auch in der Partei aktiv war, die Friedrich Merz nun führen will, unter anderem als Pressesprecher und Vorstandsmitglied der Jungen Union Hamburg.

  • Ja, es gibt eine Machtverschiebung: Immer mehr Menschen informieren sich über die Sozialen Netzwerke, wie Youtube, Instagram, Twitter oder Facebook.
    • Dadurch findet die Qualitätskontrolle über die Wahrheit und über die Seriosität der Meldungen nicht mehr statt.
    • Außerdem entscheiden Algorithmen – kleine Programme, deren Arbeitsweise nur deren Programmierer nachvollziehen können – darüber, was die Nutzer sehen.
    • Der Servicegedanke der Anbieter ist meist so programmiert, dass man genau das, was einen interessiert, immer wieder zu lesen bekommt, und gegenteilige Meinungen oder andere Berichte einfach ausgeblendet werden.
    • Dadurch entstehen die in sich geschlossenen Meinungsräume, die auch als Filterblasen bezeichnet werden.
  • Weshalb Friedrich Merz nun auf die professionellen Medien und Journalisten verzichten möchte, stellt er selbst dar:
    • Er empfiehlt allen, die Sozialen Netzwerke zur Verbreitung der eigenen Informationen zu nutzen, „dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten“.
    • Zusammengefasst: Nur so kann man seine eigenen Informationen unter die Menschen bringen, ohne dass gegenteilige Meinungen einen Rolle spielen.
    • Die Meinungsvielfalt wird auf diese Art eingeschränkt, damit Politiker, wie Friedrich Merz ihre „Deutungshoheit“ behalten.
  • Wer nachverfolgen möchte, was Friedrich Merz meint, brauch sich nur die Arbeit der AfD in den Sozialen Medien anzuschauen.
    • Professionell werden dort die eigenen Ansichten wie Informationen an die Anhänger verteilt.
    • Zu wichtigen Themen werden kurze und knappe Grafiken angeboten, die durch einen einzigen Klick auf „Teilen“ im Schneeballsystem unter den Anhängern der Partei weiterverbreitet werden – zentral gesteuert aus dem Newsroom der AfD.
    • Die Algorithmen sorgen dafür, dass AfD-Anhänger dann alle Informationen erhalten und keine andere Meinung dazu kommt.
    • Das ist die „Deutungshoheit“, von der Friedrich Merz spricht.
  • Die Aufgabe des professionellen Journalismus ist es dagegen, auch andere Meinungen und Informationen widerzuspiegeln.

Ich halte die Äußerungen von Friedrich Merz für brandgefährlich. Sie fordern das, was auch die AfD will: Keinen kritischen Journalismus mehr, sondern die einseitige Darstellung von Inhalten nur aus einer Sicht, nämlich der der eigenen Partei. Am Ende einer solchen Politik könnte logischerweise die Gleichschaltung der Medien stehen, um die Deutungshoheit in der Hand der Politiker zu lassen, so wie es in Deutschland unter der Nazi-Diktatur und der DDR bereits der Fall war.