Der Sohn, ein Schmetterling und der Schuss des Vaters

Ich darf heute Nachmittag im Hoffnungszentrum Leipzig, eine Gemeinde im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), Renoirstraße 32, predigen. Ich freue mich schon darauf. Bei der Vorbereitung des Textes stieß ich auf eine Andacht, die ich mal vor 13 Jahren gehalten habe. Ich hatte diese Geschichte schon vergessen, ich weiß auch nicht genau, wo ich sie damals her hatte. Aber sie passt so schön in die jetzige Zeit. Und ich weiß, dass sie auch Leute berührt, die heute nicht in dem Gottesdienst sein werden. Deshalb stelle ich den Teil meiner Predigt einfach hier in das Internet.

Der Sohn, ein Schmetterling und der Schuss des Vaters

Es war ein schöner Frühlingstag. Der Sohn des Jägers hatte schulfrei und so lud ihn sein Vater ein, ihn in das Nachbarrevier zu begleiten. Denn der Förster dort war krank und konnte sich nicht um seinen Wald und die Wiesen kümmern. Vater und Sohn machten sich also auf: beide mit Rucksack, der Förster mit Gewehr und üblicher Ausrüstung, sein Sohn mit Netz zum Schmetterlingsfangen und einem Einwegglas, um dort eines dieser wunderschönen Tierchen hineinzupacken. Und so zogen sie kilometerweit durch den Wald, bis sie zu einer Wiese kamen. Die war so wunderbar, mit vielen Blumen und Gras, ging bis zum Horizont – Himmel und Erde gingen dort quasi ineinander über -, so schön, dass sich beide hinsetzten und rasteten.

Doch den Jungen hielt es nicht lange. Während sein Vater schlief, entdeckte er einen Schmetterling, so bunt und groß, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Er versuchte ihn zu fangen, lief und lief immer weiter auf die Stelle zu, wo Wiese und Himmel ineinander übergingen.

Sein Vater erwachte langsam, sah den Sohn schon viele Meter weit entfernt und – erschrak: „Komm zurück, schnell, lauf nicht weiter!“ Doch sein Sohn hörte nicht. Er rannte weiter hinter seinem wunderbaren Schmetterling hinterher, ohne zu wissen, dass dort, wo Himmel und Wiese aneinandergrenzten, also nur noch ein kurzes Stück vor ihm, ein 100 Meter tiefer Abhang war.

Der Vater schwenkte die Arme, rief und rief. Doch vergeblich. So nahm er das Gewehr, zielte auf ein Knie des Jungen und schoss. Er traf gut, der Junge krachte auf dem Boden, weit genug vom Abhang entfernt, so dass er ihn noch nicht sehen konnte. Sein Schmetterling verschwand, noch bevor der Vater ihn erreichte.  Der Sohn weinte: „Warum hast du das getan? Noch nie hatte ich einen so schönen Schmetterling. Du gönnst ihn mir nicht und schießt auf mich.“  Es waren die letzten Worte des verzweifelten und enttäuschten Sohnes an seinen Vater für viele, lange und harte Wochen.

Der Sommer war schon fast rum, da wurde der Junge aus dem Krankenhaus entlassen. Sein Vater sagte ihm: „Wir gehen wieder hin zu dieser Wiese.“   Doch der Sohn schrie: „Willst du mich weiter quälen. Damals hast du mich angeschossen, damit ich meinen Schmetterling nicht bekomme und jetzt willst du mir ausgerechnet diese Stelle wieder zeigen?“  – „Komm, mein Sohn, folge mir, es ist wichtig.“  Und sie kamen zu der Stelle und gingen weiter, bis dort, wo der Himmel die Wiese berührte. „Langsam, mein Sohn, schau nach vorne, aber gehe langsam.“  Der Sohn sah den Abhang, brach in Tränen aus und entschuldigte sich schluchzend: „Vater ich wusste nicht, was du wolltest. Ich vergaß, dass Du mich immer schützen wirst. Ich war so verzweifelt, wegen des Schmetterlings, aber Du hast mir das Leben gerettet.“  Sein Vater, der ihm schon längst verziehen hatte, nahm ihn in die Arme und tröstete seinen Sohn.

Und genauso ist Gott mit uns. Oft wissen wir nicht, was er will. Aber er, der Vater,  weiß es.

Psalm 23

Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln. Auf grünen Auen lässt er mich lagern; an Wasser mit Ruheplätzen führt er mich. Labsal spendet er mir. Er leitet mich auf rechter Bahn um seines Namens willen. Auch wenn ich wandern muss in finsterer Schlucht, ich fürchte doch kein Unheil; denn du bist bei mir. Dein Hirtenstab und Stock, sie sind mein Trost. – Du deckst für mich einen Tisch angesichts meiner Gegner. Du salbst mein Haupt mit Öl, mein Becher ist übervoll. Nur Glück und Gunst begleiten mich alle Tage meines Lebens, und ich darf weilen im Hause des Herrn, solange die Tage währen.

(c) Michael Voß, www.michael-voss.de

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