Digitale Kleidung

MDR INFO, 27.06.12
Haben Sie schon einmal Kleidung gekauft, die Sie nie in der Hand hatten, die Sie auch nie wärmen wird? Kleidung, die aber trotzdem Ihre Person nach außen repräsentiert? Kleidung, die nicht vorhanden ist, aber Geld kostet? Gemeint ist sogenannte digitale Kleidung, die in nicht realen Welten genutzt wird. So unwahrscheinlich es klingt – in diesen Welten wird sogar die Fußball-EM gefeiert – mit schwarz-rot-goldenen Schal oder Make up.
An seinem Schreibtisch in Berlin ist Sebastian Funke der Herr über eine digitale Welt. Eine Welt, die er vor sechs Jahren miterfunden hat und um deren Wohl sich unter seiner Führung inzwischen über 110 ganz reale Mitarbeiter kümmern. In dieser Traum-Welt geht es um das Outfit. Was ziehe ich an? Wie schminke ich mich? Das sind die Fragen der 15 Millionen Smeet-Nutzer. Wer mitmacht, ist als sogenannter Avatar unterwegs – in einer Umgebung, die Smeet heißt.
Ich drücke mich über meine Figur – im Neudeutschen „Avatar“ genannt – in dieser Welt aus, in dem ich den eben besonders anziehe, wie ich es mag. Das heißt, entweder total ausgepflippt oder vielleicht auch irgendwie, wie ich im realen Leben aussehe oder zu unterschiedlichen Themen, wie der EM. Also es ist sehr, sehr, sehr selbstdarstellungsorientiert.
So beschreibt Sebastian Funke seine Welt, die ganz konkret auch mit der realen Welt verbunden ist – nicht nur bei dem Hang zur Selbstdarstellung. Viele Avatare fiebern zurzeit mit der deutschen Fußballmannschaft mit.
Man kann seiner Figur natürlich Kleidung anziehen, die die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land – Spanien, Deutschland etc. – darstellen. Man kann sich eine Gesichtsbemalung besorgen. Cappis, Fahnen, Tröten.
Onlinespiele haben inzwischen die herkömmlichen Computerspiele weitgehend abgelöst. Man spielt nicht mehr allein gegen den oder mit dem Computer, sondern hat es mit anderen Menschen zu tun. Und da ist es kein Wunder, dass auch dort genau das stattfindet, was im wirklichen Leben auch viele Menschen beschäftigt.
Dort gibt es so was wie ein – ich sag mal – virtuelles Topmodel-Contest. Den führen wir jede Woche durch. Und dort kann man eben seinen Avatar in dem besonderen Style ins Rennen schicken und schauen, wie tausende von anderen Nutzern darüber entweder den Daumen hoch oder den Daumen runter abstimmen.
Wer in dieser Welt „in“ sein will, braucht einen modischen oder flippigen Avatar. Und dessen Kleidung – die gibt es digital nur gegen reales Geld von der Kreditkarte. Das ist das Geschäftskonzept – und es läuft gut. Allein in Deutschland wurden 2011 fast 161 Millionen Euro in digitalen Welten – nicht nur bei Smeet – umgesetzt. Deutschland steht damit auf Platz 1 in Europa.
Es gibt hundert von Millionen Menschen, die in Deutschland Spiele spielen. Das  haben die schon immer getan. Auch digitale Spiele. Nur früher hat man halt CDs gekauft. Das ist mehr und mehr nicht mehr der Fall, sondern es gibt die Spiele kostenlos und die Monetarisierung, sprich also worüber die Firmen Geld verdienen, passiert eben über diese virtuelle Güter.
Sebastian Funke ist zufrieden. In diesem Jahr will er Südamerika erobern – real, denn daher sollen die neuen zahlenden Nutzer seiner digitalen Welt kommen.
(c) Michael Voß, www.michael-voss.de

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