Leipziger Feuerwehrnotruf 112: „Ich beende dieses Gespräch“

Das Telefonat war auch
Thema im MDR-Fernsehen.

Am Sonntag, 06.10.13, kurz nach 18:00 Uhr beobachte ich an der Straßenbahnhaltestelle vor dem Leipzig Hauptbahnhof, wie eine männliche Person direkt am Gleis auf dem Boden sitzt. Eine einfahrende Straßenbahn hält vorsichtshalber an, kann dann aber weiterfahren. Der Mann macht einen verwahrlosten Eindruck, ist aber in diesem Moment ganz  offensichtlich bei Bewusstsein.
Wenig später steige ich mit meinen Supermarkteinkäufen (im Hbf hat ein Supermarkt auch sonntags offen) in die Straßenbahnlinie 4 Richtung Gohlis ein. Aus dem Fenster sehe ich jetzt, dass zwei Personen den Mann an seinen Armen vom Gleis wegziehen. Er bewegt sich dabei nicht mehr. Sie packen ihn an die straßenseitige Absperrung.  Meine Straßenbahn fährt langsam los. Ich rufe um 18:09 Uhr aus der Straßenbahn die Notrufnummer 112 an. Dort ist man über den Anruf nicht gerade erfreut. Ich erfahre, dass es wahrscheinlich der Mann sei, der vor kurzem Hilfe abgelehnt habe. Ich meine darauf, dass er jetzt offensichtlich Hilfe nötig habe und offenbar nicht ansprechbar sei. Darauf bekomme ich folgende Antwort: „Das können Sie aus einer fahrenden Straßenbahn heraus nicht beurteilen. Ich beende dieses Gespräch jetzt.“ Und die männliche Person am anderen Ende der 112 legt auf.

Zweiter Versuch beim Polizeiruf 110: Auch hier meint man, ich könne das aus der Straßenbahn doch gar nicht einschätzen, ob der Mann ansprechbar sei oder nicht. Ich habe dagegen noch immer die Bilder vor Augen, wie er leblos über den Boden gezogen wird. Wie ein nasser Sack. Als ich – inzwischen am Waldplatz angekommen – sage, dann müsse ich wohl jetzt selbst mit der Straßenbahn zurückfahren, versichert mir der Polizist, man würde jemanden hinschicken.

In der MDR-Fernsehsendung „Hier ab vier“ verteidigt Joachim Petrasch von der Branddirektion Leipzig am 09. Oktober 2013 das Vorgehen seines Mitarbeiters: „Der Disponent in der Leitstelle hat richtig gehandelt. Er hat ja auch dem Bürger mitgeteilt, was da am Einsatzort gewesen ist, dass der sich nicht helfen lassen wollte. Unendliche Diskussion bringen dort in der Beziehung nicht, weil, der Disponent musste ja auch noch andere Notrufe entgegennehmen.“

Bleibt die Frage, woher der Feuerwehrmitarbeiter in der Notrufzentrale wusste, dass es sich um den Menschen handelt, der bereits Hilfe abgewiesen hat und die Frage, ob jemand, der ganz offensichtlich nicht mehr selbst reagieren kann, diese Hilfe nochmals abweisen würde.

Ich frage mich auch, wie man noch Courage von der Bevölkerung erbitten kann, wenn die eigenen Feuerwehr- und Polizeimitarbeiter so abweisend sind.  Genau deshalb gebe ich noch am selben Abend eine Anzeige wegen unterlassender Hilfeleistung am Notruf 112 gegen unbekannt auf.

Artikel aktualisiert:  Die Passagen aus der Fernsehsendung „Hier ab vier“ wurden am 10.10.13 neu aufgenommen.

Die besten Reaktionen auf meine Veröffentlichungen zum Thema „Ich beende dieses Gespräch“ habe ich hier zusammengefasst.

Da sich die Argumente inzwischen wiederholen und ich auch wieder zu meiner normalen Arbeit zurückkehren möchte, schließe ich jetzt die Kommentarfunktion. Ich habe zumindest sehr viel über die Leipziger Rettungskräfte erfahren.

(c) Michael Voß, www.michael-voss.de

18 thoughts on “Leipziger Feuerwehrnotruf 112: „Ich beende dieses Gespräch“

  1. Unglaublich?! Aber normaler Wahnsinn!

    Da wird ständig der Notruf gewählt, weil irgendwo ein Betrunkener sitzt. Der nicht einmal Hilfe will! Und dann teilt dieser völlig wahnsinnige Disponent dem Anrufer auch noch mit, dass das kein Notfall ist (da er die bestätigte Info schon hat) und trotzdem soll er am Ende noch der Dumme sein? Mit einer Anzeige bei der Polizei?
    Nur weil er die Rettungsmittel sinnvoll einsetzen möchte?

    Und dann noch die Forderung vom Anrufer, der Disponent soll ihm doch bitte genau erklären, warum er nicht sofort einen Rettungswagen schickt (welcher schon ein paar mal an diesem Tag bei diesem scheinbar Hilflosen war!)?! Man hat ja schließlich Zeit am Notruf, da läßt es sich herrlich plauschen.
    Genau, sollen doch andere Notfälle in der Warteschleife des Notrufes warten bis der Disponent einem Anrufer erklärt hat, dass diese eine Meldung kein Notfall ist.
    Ich hoffe die Ironie dieser Frustmeckerei wird hier erkannt.

    Ich kann nur hoffen, dass der Herzinfarkt, der schnelle Hilfe braucht, diese Medlung auch abgeben kann. Und nicht erst darauf warten muss, dass der Disponent sein Gespräch mit einem uneinsichtigen Ersthelfer am Telefon beendet hat!

    „Und hiermit beende ich das Gespräch!“

    1. Lieber Anonym, Sie haben mir mit „Herzinfarkt“ eine schöne Vorlage geliefert. Ich hatte voriges Jahr einen, und wissen Sie, was meine Frau von der Notrufstelle hören durfte, obwohl sie die sehr eindeutigen Symptome geschildert hatte? Sinngemäß „naja, wenn es lebensbedrohlich ist, können wir ja mal nen Notarzt vorbeischicken…“ von einer hörbar gelangweilten Stimme. Da kommen einem schon Zweifel…

  2. Sehr geehrter Herr Voß, wo bitte ist es den Zivilcourage drei Ziffern zu wählen? Zivilcourage ist doch was völlig anderes. Zivilcourage ihrer Seits wäre es gewesen wenn sie statt die 112 zu wählen ausgestiegen wären und dem Mann, der Ihrer Meinung nach Hilfe benötigt hat, entsprechend, ihrer hoffentlich guten Ersten-Hilfe-Kenntnisse, geholfen hätten. Und durch zum Beispiel ansprechen und anfassen das Bewusstsein des Mannes überprüft hätten. Sich aber damit zu brüsten drei Ziffern gewählt zu haben ist keinesfalls Zivilcourage denn das können auch kleine Kinder. Täglich erleben wir im Rettungsdienst das Leute für vermeintlich hilflose Personen die 112 wählen ohne sich im Vorfeld mal einen genauen Überblick über die Situation gemacht zu haben. Beim Eintreffen an der Einsatzstelle werden wir dann durch die „hilflose Person“ beschimpft und müssen uns teilweise sogar mit Gewalt drohen lassen. Nicht jeder der irgendwo rumliegt braucht tatsächlich Hilfe. Viele unsere „Stammpatienten“ zu denen wir nahezu täglich fahren haben ein Alkoholproblem und wollen eigentlich nur ihren Rausch ausschlafen. Und zur Kritik an Ihrer Person sei gesagt das zur Ersten Hilfe eben mehr gehört wie nur die 112 wählen. Aber dazu muss man den Arsch in der Hose haben und Zivilcourage zeigen.

  3. „…und wollen eigentlich nur ihren Rausch ausschlafen“ zeigt, daß sie, Herr Anonym von den Rettungskräften, möglicherweise recht wenig Ahnung haben von dieser Art Krankheit (sie nennen es „Problem“) – dafür um so mehr Abneigung dagegen. Wohlgemerkt, ich achte ihren schweren Beruf.

  4. Hallo Herr Stahl, sicher ist der Ausspruch: „…und wollen eigentlich nur ihren Rausch ausschlafen“ etwas oberflächlich formuliert. Jedoch kann und muss ich hier aus eigener Erfahrung sagen das es in den mir bisher erlebten Einsätzen so war das die vermeintlich (uns meist bekannte) hilflose Person alkoholisiert war und vom Rettungsdienst nichts wissen wollte. Neben verbalen Beleidigungen ist es nicht selten das wir uns hier auch körperlich angreifen lassen müssen. In den Fällen wo die Person sich z.b auf Grund von Stürzen verletzt hat bedarf es meist sogar intensiver verbaler Überzeugungsarbeit um den Bürger ins Krankenhaus bringen zu können. Das wir hier von einer Krankheit reden ist mir sehr wohl bewusst. Und Abneigung gegen diese Personen die meist Obdachlos, Arbeitslos und perspektivlos sind, habe ich keines Wegs. Eher im Gegenteil auch dem unverletzten biete ich immer wieder an mit ins Krankenhaus zu kommen, mit dem Hintergedanken das er sich dort aufwärmen kann ggf. mal warm duschen kann und bei einer Stationären Aufnahme auch mal etwas ordentliches zu Essen bekommt. Leider erlebe ich es immer wieder das genau diese Bürger denen wir unsere Hilfe anbieten diese ablehnen. Mir ist auch bewusst das jeder einzelne von unss allen sehr schnell in genau diese Situation kommen kann. Ich mache meinen Beruf aus Überzeugung Menschen helfen zu wollen. Dies funktioniert aber nur wenn man die angebotene Hilfe auch annimmt. Außerdem denke ich, haben wir hier in diesen Fällen eher sozialpolitisches Problem und kein Problem der Notfallrettung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Troitzsch
    Rettungsassistent

  5. Sehr geehrter Herr Troitzsch, so in der Langfassung liest sich Ihre Antwort von vorhin schon ganz anders. Danke für Ihre Mühe, ds noch ausführlich zu beschreiben! Ich bin mir auch durchaus bewußt, daß man nicht von DEM Rettungsdienst sprechen darf, nur weil es (wie überall) das eine oder andere schwarze Schaf gibt.

    1. Mir ging es in meinem ersten Text auch weiß Gott nicht darum irgend wen zu diskriminieren. Mir ging es lediglich darum einmal das Verständnis zu wecken das es eben nicht mir einem Anruf bei der 112 und dem Satz „hier liegt einer rum“ getan ist.

  6. Lieber Herr Anonym,

    wie kommt es, dass der Feuerwehr-Mitarbeiter mir abspricht zu erkennen, ob die Person Hilfe braucht, selbst aber aus der weit entfernten Notrufzentrale beurteilt, dass es die selbe Person sei, die bereits Hilfe abgelehnt hat? Und auch zu wissen, dass diese Person keine Hilfe mehr braucht? Ohne vor Ort zu sein oder die Personalien zu kennen?

    Ich glaube, das geht nicht.

    1. @ Michael Voß: Sicher wäre es in einer „normalen“ Situation undenkbar das der Disponent dies am Telefon beurteilen kann. Deswegen rücken wir auch täglich mehrfach zu solchen Einsätzen aus. Und wie ich bereits geschrieben habe versuchen wir uns auch um die Bürger zu kümmern die unsere Hilfe nicht wollen. Zur Situation die an diesem Tag vorlag werde ich hier nichts sagen. Aber ich denke das ein persönliches Gespräch zwischen Ihnen und dem Disponenten sicher Klarheit bringen könnte. Ich denke nach diesem Gespräch sieht die Situation auch völlig anders aus. Gern bin ich hier vermittelnd tätig wenn sie dies wünschen.

      Mit freundlichen Grüßen

      Frank Troitzsch
      Rettungsassistent

    2. ich denke, der Mitarbeiter der Notrufstelle hat Erfahrung genug, die erhaltenen Informationen so zu bewerten um die Situation richtig einschätzen zu können. Ich denke auch, das Regularien dafür entsprechend die Grundlage bilden. Das Problem ist doch m.E. hier eine Überreaktion von Herrn Voß, da er sich auf Grund von Halbwissen ungerecht behandelt fühlt.
      Hier wird eine sog. Fehlentscheidung herbei interpretiert obwohl noch nicht einmal erwiesen ist, ob denn in der Folge ein Rettungsdiensteinsatz notwendig war bzw. stattgefunden hat.
      Da Herr Voß sich als „quadromedialer Journalist“ bezeichnet, damit wohl auch seinen Lebensunterhalt bestreitet, hat er an dieser Stelle schlecht recherchiert.
      Der Gebührenzahler wird es ihm verzeihen.

      V.G. ein Realist

    3. Sorry, der Beitrag kam nicht von mir, sondern von einem Kollegen. Also sind es nicht meine REcherchen. Doch der Beitrag hat alle Seiten zu Wort kommen lassen. Insofern sehe ich nichts, was schlecht recherchiert sein könnte. Auch die Feuerweht kam zu Wort. Wo ist das Problem? Geklärt wurde nur nicht, woher der Mann an der 112 wusste, dass der Mann der an der Haltestelle lag a) keine Hilfe braucht und b) bereits die Hilfe abgelehnt hat. Hierzu gab es von der Feuerwehr leider keine Aussage.

  7. Hallo Herr Voß,
    Sie haben doch beschrieben, das andere Passanten sich um diese“ HILOPE“ gekümmert haben. Ich denke, wenn dort die Bedingungen für einen med. Notfall vorgelegen hätten, wäre es auch zu einem Rettungsdiensteinsatz gekommen. Vorausgesetzt, der Anrufer im Notruf kann in der Notfallabfrage die Situation eindeutig als Notfall erklären.
    Im übrigen kann ich den Disponenten nachvollziehen, da dieser sicher unter Stress steht und bei entsprechend hohem Notrufaufkommen nicht mit Ihnen im Notruf in „Endlosdiskussionen“ vefallen kann.
    Aber mit der Anzeige bei der Polizei haben Sie ja wirklich Courage gezeigt!!! Gratulation und Respekt!

  8. Nach allem, was ich mittlerweile gelesen und gesehen habe, liegt hier offensichtlich eine Fehlbeurteilung der Situation durch Michael Voß vor.
    Er könnte nun Courage zeigen und seinen Fehler auch eingestehen. Denn dazu gehört mehr Mut.
    Und für die Zukunft – besser vor großer Stimmungsmache erst einmal die Gesamtumstände überprüfen, da ansonsten der Eindruck entstehen könnte „egal wie, Hauptsache ich komme ins Fernsehen!“

  9. Hallo! Ich bin durch einen Internetlink eher zufällig auf die Schilderungen auf dieser Seite gestoßen. Ich habe selber in der Notfallrettung gearbeitet (nicht in Leipzig), inzwischen arbeite ich in einem völlig anderem Bereich.
    Ich kann die Aufregung der ehemaligen Berufskollegen gut verstehen, es ist wirklich frustrierend und „anstrengend“ ständig Betrunkene flott zu machen, wenn man eigentlich Leben retten will. Vermutlich liegen sie mit ihrer Vermutung auch zu 99% richtig, dass der Disponent an der 112 die Lage- auch aus der Ferne- zutreffend beurteilt hat. Das ist in der Tat ein leider sehr realistischer Erfahrungswert.
    Aber so wie es sich hier liest, gibt Herr Voß zu bedenken, daß es keine absolute Sicherheit gab, wie man sie bei der Sorge um die körperliche Unversehrtheit eines Menschen haben sollte, um die Einsatzausauslöung abzulehnen.
    Ich bin selber unzählige Male mit Einsatzbefehlen ausgerückt auf denen so etwas wie „unklares allgemeines Unwohlsein“ stand oder der Disponent noch in die Fahrzeughalle „macht mal langsam, der ist wohl nur müde“ rief. Wir sind auch oft 2-3x hintereinander zur selben Adresse gefahren. Meist- das stimmt- unnötig.
    Allerdings habe ich bei einem „nur betrunkenen“ dann am Einsatzort angekommen, plötzlich auch ein Mal eine dramatische Reanimationen erlebt.
    Der Disponent an der 110 hat -wie es Herr Michael Voß- schildert für den „unwissenden“ Bürger schon etwas nachvollziehbarer gehandelt. Und ich glaube, darum geht es hier.

    Ich will die hier geschilderten Ereignisse und Diskussionsbeiträge nicht beurteilen, nur meine Erfahrung mitteilen.

    1. Hallo, dem geschilderten Erfahrungen stimme ich ebenfalls vollumfänglich zu.
      Aber in der Sache ist doch der Anrufer im Notruf verärgert, weil der Mitarbeiter am Notruftelefon so entschieden hat und nicht die Zeit hatte in endlose Erklärungen zu seiner Entscheidung zu verfallen. Es wurde doch von Herrn Voß geschildert, das er beobachtet hat, das mehrere andere Passanten sich um die Person kümmerten. Bei Notwendigkeit wäre doch mit Sicherheit von diesen tatsächlich helfenden Personen der Rettungsdienst gerufen worden. Die Notrufstelle hätte dann anhand von Tatsachen entscheiden können. Dies sollte Herr Voß begreifen und nicht mit einer Anzeige überreagieren. Herr Voß hätte doch auch die Tram stoppen und sich in die Hilfsaktion einbringen können. Aber wie schon von den anderen Bloggern hier beschrieben, das erfordert Weitsicht, Entscheidungskompetenz und vor allem Courage.

      schönes WE@all
      KL.

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