Kommentar: Sicherheit geht vor Bequemlichkeit – Die Einstellung des Bahn-Fernverkehrs während des Orkans war richtig

ICE in Berlin
ICE in Berlin

Die Deutsche Bahn hat gestern deutschlandweit den Verkehr wegen des Orkans Friederike eingestellt. Kritiker meinen, der Konzern habe voreilig gehandelt. Der Fahrgastverband Pro Bahn meint beispielsweise, die Züge hätten in einigen Gegenden Deutschlands weiterrollen können. Dazu mein Kommentar bei MDR Aktuell.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, der Stopp aller Fernzüge und der meisten Nahverkehrszüge war korrekt.

Sicherheit geht vor Bequemlichkeit.

Ein ICE kann gewaltigen Schaden anrichten. Vor 20 Jahren rammte ein Hochgeschwindigkeit-Zug im niedersächsischen Eschede eine Brücke. Wer die schlimmen Bilder vor Augen hat, weiß, was für eine unbeschreibliche Kraft hinter so einem Zug steht. Über 100 Tote. Der Zug zusammengefaltet wie Papier vor den Trümmern der Brücke.

Zwei Jahrzehnte später sind die ICE-Züge mit bis zu 300 Kilometer pro Stunde viel schneller unterwegs. Wenn der Zugführer bremst, stoppt der Zug erst drei Kilometer weiter. Selbst wenn der ICE nur mit 120 unterwegs ist, braucht er noch 500 bis 700 Meter bis zum Stand. Ein Zugführer kann nicht ausweichen. Er kann bremsen. Um einen Aufprall auf ein Hindernis zu verhindern, müsste der Zugführer also mindestens einen halben Kilometer weit sehen können. Bei Sturm und Regen ist das illusorisch.

Wenn also ein Baum auf die Schiene stürzt, dann prallt der ICE darauf. Das bedeutet Lebensgefahr mindestens für den Zugführer vorne, doch beim Entgleisen des ICE auch für die Fahrgäste.

Deshalb war es die richtige Entscheidung: Stopp für alle Fernzüge und für viele Nahverkehrszüge, bevor es zu einem Zusammenprall mit umstürzenden Bäumen kommt.

Sicherheit geht vor Bequemlichkeit.

Die Kritiker meinen: Dann hätte die Bahn ja zumindest dort, wo kein Orkan war, die Züge fahren lassen können.

Hätte sie. Doch wer weiß schon vorher, wo der Orkan genau zuschlägt. Fernzüge – das sagt schon der Namen – fahren quer durch Deutschland. Es sind keine Busse, die schnell wenden können, sondern Züge, die auf Schienen angewiesen sind. Sie kurzfristig je nach Bedarf umzuleiten oder zurückzuschicken, ist nicht machbar. Die Bilanz am Tag danach ist deutlich: Deutschlandweit sind 200 Streckenabschnitte beschädigt und nicht befahrbar. Hätte die Bahn ihre Fernzüge weiter fahren lassen, dann wären viele auf offener Strecke stehen geblieben oder auf Hindernisse geprallt. Da die Hindernisse auf den Gleisen dort auftauchten, wo der Orkan besonders schlimm wütete, wären die Fahrgäste dann in Gefahrengebieten in den Zügen eingeschlossen gewesen.

Deshalb: Sicherheit geht vor Bequemlichkeit.

Kein einziger Fahrgast ist gestern während des schwersten Orkans der letzten zehn Jahre in einem Zug eingeschlossen gewesen. Die Entscheidung der Bahn, die Züge in Bahnhöfen zu stoppen und Übernachtungsmöglichkeit in Zügen anzubieten, war sicher – und bequem.